Gefallen in der Festung Küstrin

Gestern Abend erhielt ich über Facebook eine Anfrage zu einem deutschem Soldaten, der während den schweren Kämpfen um die Festung Küstrin gefallen ist. Die WASt-Auskunft vor einigen Jahren war Negativ. In der Nachricht an mich sagte der Schreiber Christian S.:

Ich habe mit Staunen gesehen, wie sie so manche Fakten aus einem Namen gezogen haben, wo die Verwandten nur Augen machen konnten. Gibt es für Sie eine Möglichkeit etwas über Herrn ??????? herauszufinden? Mit freundlichen Grüßen, Christian S.”

Also habe ich versucht, zusammenzutragen, was die amtlichen Kriegstagebücher zu den Ereignissen hergeben. Um nicht den Rahmen der Recherche zu sprengen, habe ich mich im Schwerpunkt an die Auswertung von recht kurzgefassten Tagesmeldungen der Heeresgruppe Weichsel und der 9. Armee gehalten.

Festung Küstrin  nach Lagemeldung Heeresgruppe Weichsel vom 12.2.1945

Fest.Kdt.Stb
Pz.Gren.Ers.Btl. 50
Pi.Ers.u.Ausb.Btl. 68
Art.Ers.Abt. 39
Res.Pi.Kp. 513
Ung.Inf.Btl. IV
Turk-Eins.Btl. (deutsch)
Turk-Eins.Btl. (Kaukas.)
Gen.Kp. (festgehalten)
1. Marsch-Btl.z.b.B.Pz.Tr.Nr. 346
2. `                                    ´ 347
3. Marsch-Btl. 344
Stülpnagel-Kaserne (Versprengte)
Bewährungsbataillon
Fest.Inf.Btl. 1450
Offz. u. Beamte (Schloss Kaserne)
Volkssturm
Flak Rgt. 114
Zusammen 8196 Mann Kampfstärke

12.2.1945

An der Oder-Front bis N Frankfurt/Oder ereigneten sich keine besonderen Kampfhandlungen. Lebus ging an den Feind verloren. In den Feindbrückenköpfen S Küstrin wurden verstärkte Bewegungen des Gegners festgestellt, die auf ein dichtes Aufschließen von mot.- und Panzerkräften schließen lassen. NW Küstrin trat der Gegner aus seinen Brückenköpfen bei Sydowswiese und Gr.-Neuendorf in Div.-Stärke zum Angriff an, er erweiterte seine bisherige Stellung in beiderseits sehr verlustreichen Kämpfen bis zu 3 km Tiefe. Außerdem wurde verstärkte Feindbesetzung im Brückenkopf Karlsbiese festgestellt. In Richtung auf den Brückenkopf Schwedt stieß der Gegner in Kp.-Stärke vor, wurde jedoch abgewiesen. Aus Festung Küstrin keine Meldungen.

Zwischen Fürstenberg und Küstrin lassen Ansammlungen zweier feindlicher Panzergruppen (20 Panzer ostwärts Wuhden, 12 Panzer und mot.Artillerie nördlich Reitwein) in unmittelbarer Frontnähe vermuten, dass der Feind entsprechend der raschen Entwicklung seiner Operationen im Raum Glogau – Bunzlau – Liegnitz zu einem geschlossenem Angriff anzutreten beabsichtigt.

Im Raum Küstrin – Reetz versuchen 2 Gardepanzerarmeen und 2 Kav.Korps den Raum Stettin zu gewinnen.

Tagesmeldung Heeresgruppe Weichsel an OKH <> 12.2.1945

Tagesmeldung Heeresgruppe Weichsel an OKH <> 12.2.1945

Gesamtbeurteilung der Lage nach Oberst i.G. Hölz, 9. Armee:

„Lage südlich und nordwestlich Küstrin vergleichbar einer Leydener Flasche, bei der der Funke jeden Augenblick überspringen kann. Gelände und Munitionslage für uns sehr ungünstig. Sehr große Verluste bei dem heutigen Angriff. Dadurch weitere Gefährdung der an sich schon schwach besetzten Front!“

13.2.1945

Eigene Angriffe gegen die Oderbrückenköpfe nördl. Fürstenberg, südl. Frankfurt und beiderseits Lebus gewannen gegen zähen Feindwiderstand geringfügig Boden. Bei Kienitz konnte der Gegner durch starke von Pz. unterstützte Angriffe seinen Brückenkopf nach SW erweitern, jedoch wurden die feindl. Angriffe in harten und verlustreichen Gegenstößen zum Stehen gebracht, südl. Klessin blieben die eigenen Gegenangriffe im russ. Abwehrfeuer liegen, dabei Abschuss von 5 Panzern. In Konitz heftige Straßenkämpfe mit einer eingedrungenen fdl. Panzerbrigade. Zwischen Tuchel und Osche erzielte der Feind mehrere Einbrüche, die mangels Reserven nicht bereinigt werden konnten. Die Gesamtlage in diesem Abschnitt ist daher äußerst gespannt. Im Raum nördl. und südl. starke Feindbewegungen. Eigenes Stoßtruppunternehmen südostwärts Gorgast blieb erfolglos. Zwei feindliche Stoßtrupps im Raum Neu-Schaumburg abgewiesen. 14.30 Uhr Feindangriff in Btl.-Stärke nach ½-stündiger trommelfeuerartiger Vorbereitung mit Kaliber bis 12.2. von Nordosten und Norden auf Genschmar abgewiesen. Eigener Angriff des CI. AK erreicht Raum Sydowswiese – Groß-Neuendorf. Besatzung Kienitz nach feindl. Angriffen in Divisionsstärke in Rundumverteidigung. Mit einer Kompanie und mehreren Sturmgeschützen nördlich Rehfeld zum Gegenangriff angetreten.

Festung Küstrin: Durch gewaltsame Aufklärung neue feindliche schwere Waffen westl. Drewitz festgestellt. Anhaltendes Störungsfeuer auf gesamten Abschnitt. Feindl. B-Stelle 1 km. südl. Küstrin durch eigene Artillerie niedergekämpft. HKL bei Bienenhof 300 Meter vorverlegt, starke feindl. Bewegungen von Schernow nach Westen, 150 LKWs, 12 Geschütze.

14.2.1945

Während bei 9. Armee in örtlichen Gefechten der Feind die Erweiterung seiner bisherigen Brückenköpfe versuchte, wurden die eigenen Brückenkopfstellungen bei Ziltendorf und Brieskow weiter eingeengt, bei Lebus gelang dem Gegner ein Einbruch in die eigene Stellung, eigener Stoßtrupp nahm während der Nacht in erbitterten Nahkämpfen die Häusergruppe 200 Meter nordöstlich Bahnhof Lebus. Anhaltendes Artl.- und Granatfeuer auf Festung Küstrin, von Nordwesten her gegenseitige Spähtrupps, Gehöfte bei Drewitz wieder in eigener Hand. 3-4 Km nordwestlich der Festung bringt der Feind weitere Artl-Verstärkungen heran. Am Abend gegen Festung Küstrin Angriff durch Feind in Stärke von 2 Bataillonen mit 8 Panzern nach starker Artillerievorbereitung von Süden auf Altstadt. Einbrüche konnten im Gegenstoß beseitigt werden, dabei 1 Panzer abgeschossen, 2 Panzer bewegungsunfähig geschossen.

Bei Groß-Neuendorf bringt der Feind im Fährbetrieb Artillerie über die Oder. Eine weitere Fähre wurde bei Sydowswiese festgestellt.

Nach bisherigen Meldungen von 12. bis 14.2.:
Feindverluste  etwa   135 Tote, 3 Überläufer, 44 Gefangene, 25 Scharfschützenabschüsse.

Eigene Verluste          37 Offiziere, Uffz. und Mannschaften gefallen, 334 Verwundete, 790 Vermisste

Erbeutet bzw. Vernichtet wurden 9 Panzer, 5 Panzer bewegungsunfähig vom Feind aufgegeben. 25 PaK, 48 MG, 30 Gewehre, 4 MPi, 2 Panzerbüchsen, 1 Übersetzboot vernichtet.

                                    1 LKW mit aufgesessener Inf. durch Artl.-Volltreffer vernichtet.

1 besp. Mun.-Transport vernichtet

Oberst i.G. Höfer:

Nördlich Lebus ist der Russe heute Vormittag in das Vorbereitungsfeuer eines eigenen Angriffs gelaufen und hatte offenbar sehr hohe Verluste, die Kämpfe dauern noch an. Südlich Kienitz hat der Feind mit 10 und nördlich davon mit 3 Panzern einen Angriff gestartet.“

Auszug aus der Lageorientierung durch den Oberbefehlshaber des AOK 9.

15.2.1945

An der Oderfront gegenüber den Vortagen keine wesentliche Änderung der Lage. Es gelang auch heute wieder in schweren bds. verlustreichen Kämpfen dem auf dem Westufer der Oder stehenden Gegner einige Stützpunkte ZU entreißen und so die fdl. Brückenköpfe weiter einzuengen. 11. Armee erzielte mit Teilkräften des III. SS-Pz. Korps den Entsatz der Gruppe Arnswalde. Am linken Flügel der H.Gr. setzte der Feind seine starken Angriffe weiter fort. Der Gegner erweiterte seine Angriffe bis in den Raum Pr. Friedland und versuchte z.T. mit Erfolg die ausgebauten Flankenriegel im Raum SW U. SO Konitz zu durchbrechen. Gleichzeitig setzte er seine Angriffe bds. Tuchel fort und erzielte z.T. 10 km tiefe Einbrüche.

Bei 9. Armee südl. Frankfurt/Oder auf Wiesenau geführte Angriffe gewannen nur wenig Boden. Ein Feindangriff aus dem Brückenkopf Lebus wurde unter hohen Verlusten abgeschlagen. Eigener Gegenangriff brachte Häusergruppe 800 mN Straßenkreuz Lebus wieder in Besitz. W Küstrin gelangen örtliche Stellungsverbesserungen. Ein eigener Angriff im Raum S Kienitz gewann gegen von Pz. unterstützten Feind nur langsam Boden.

Eigene Gegenangriffe gegen Kräfte südlich Küstrin führten zu keinem Erfolg, allerdings gelang auch dem Gegner kein Ausweiten seiner Einbrüche, es ist ein gegenseitiges Anklammern an der HKL entstanden, bei dem verbissen um Häuserreihen gekämpft wird. Kp.-Stärken, auch beim Gegner, von 100 auf bis 30 Mann abgefallen.

16.2.1945

Wie erwartet trat der Feind zu seinem auf breiter Front durchgeführten Angriff bei 2. Armee gegen die Front W der Weichsel an. In schweren Kämpfen konnte der von überlegenen Feindkräften und starkem Schlachtfliegereinsatz unterstützte Angriff z.T. in Abriegelungsfronten aufgefangen und im stützpunktartigen Aufbau neuer Sicherungslinien zum Stehen gebracht werden. Trotz des Einsatzes aller verfügbaren Reserven gelang dem Feind W Graudenz und N Tuchel ein Aufreißen der eigenen Front, gegen das noch keine eigenen Kräfte angesetzt werden konnten. Das eigene Angriffsunternehmen bei 11. Armee traf auf einen abwehrbereiten, mit starker Pak- und Pz.-Unterstützung eingebauten Feind und brachte die eigenen Angriffsspitzen in sehr heftige Kämpfe mit den in den Ortsstützpunkten festsitzenden Feindgruppen. An der übrigen H.Gr.-Front ereigneten sich keine wesentlichen Kampfhandlungen. Bei 9. Armee verstärkte der Feind seine Brückenköpfe nordwestlich Küstrin und führte neue Kräfte nach.

Festung Küstrin unter schwerem Störungsfeuer aller Waffen, besonders auf Bienenhof und Nordteil der Stadt. Feindangriff gegen Bienenhof und längs Bahndamm abgewiesen, 2 Panzer, 1 Sturmgeschütz zerstört, 1 Geschütz und eine PaK vernichtet. Eigene Artl. sehr schwach, lediglich 1 10cm und 1 17cm Bttr. vorhanden, es wird 1 15,2cm Bttr. durch offene Lücke nach Küstrin hereingeführt. Die Frage des Munitionsnachschubes stellt die größte Schwierigkeit dar.

Am 15. und 16.2.1945 wurden 4 Panzer, 2 Sturmgeschütze abgeschossen, 2 Panzer bewegungsunfähig, 2 Flak zerstört, 1 Fähre mit einer Kompanie durch Volltreffer versenkt, 1 weitere Fähre versenkt und 2 Fähren in Brand geschossen.

Feindverluste:             80 gezählte, 60 geschätzte Tote,

Eigene Verluste:         214 Mann gefallen, 360 verwundet, 8 vermisst, 1 eigene Flak durch Volltreffer vernichtet.

Am 16.2.1945 ergeht der Führerbefehl, der das „Niedermachen der Gefangenen in Frontnähe“ verbietet, weil sonst die Zivilbevölkerung dafür büßen muss.

Quellen:

Kriegstagebuch des Oberkommandos des Heeres

Die geheimen Tagesberichte der Deutschen Wehrmachtsführung Band 12

Kriegstagebuch der Heeresgruppe Weichsel

Kriegstagebuch der 9. Armee

Ralf Anton Schäfer