Alte und neue Fotos – Aus dem Leben des Leutnant Klimetzek

Wenn man nach Ablauf von mehr als 20 Jahren S/W-Fotokopien durch die original Fotos ersetzten kann, mit denen man selbst einmal die Kopien angefertigt hat, dann ist die Freude eine ganz besondere – das sind die genau die Art von Tagen, an denen man Lotto hätte spielen müssen. So habe ich die vergangene Woche recht große Augen gemacht, als ich bei Ebay zwei mir doch bekannte Fotos entdeckte, die seit etlichen Jahren in meiner Archivsammlung als kaum verwendbare S/W-Fotokopien trotzdem ihre Daseinsberechtigung erfüllten. Sag ich doch immer: Lieber ein schlechtes Foto, als gar keines. 

Heute kann ich nicht mehr genau sagen ob ich den Franz Klimetzek persönlich kannte oder ob die mir vorliegenden Dokumente aus dem Besitz seiner damaligen Kameraden übergeben wurden. Zum einen ist es bereits zu lange her, zum anderen habe ich einfach zu viele Veteranen persönlich kennengelernt, um das heute auf den Punkt zu bringen. Anhand der Ablage-Reihenfolge im Aktenordner habe ich 1998 zwei Fotografien, 6x6cm, mit Notiz “Klimetzek, IR 10, 1939 nach dem Polenfeldzug”, eine Liste mit zusammen 18 Nahkampftagen und eine Bescheinigung für den Abschuss eines Sherman-Panzers mit Raketenpanzerbüchse 54 fotokopiert.

Eine der 1998 durch Haus Schlesien angefertigten Fotokopie, rückseitig war die Auflistung der Nahkampftage festgehalten, die während des Kopiervorganges hindurchschien und insgesamt 18 Nahkampftage dokumentierte.

Damals befand ich mich auf dem Treffen deutscher und amerikanischer Veteranen in Remagen, die hier ihren jährlichen Tag der Erinnerung und Mahnung an den Überresten der Ludendorff-Brücke feierten. Der Abschluss dieser Feiertage wurde im Verband der Kameradschaft der ehemaligen 62. Infanterie- und Volksgrenadier, gemeinsam mit Veteranen der 11. Panzerdivision und seit 1995 auch mit Veteranen der 1. US-ID (die berühmte Big Red One), 3. US-PD (Spearhead) 9. US-ID (Old Reliables), 78. US.ID (Lighting Division) und weiteren im Haus Königswinter in Heisterbacherrott begangen. Es waren immer wenigstens zwei bis drei Tage, während derer man an den Erinnerungen der damaligen Soldaten teilhaben konnte, Geschichten aus erster Hand erfuhr, mit Soldaten beider Seiten die Orte der damaligen Kampfhandlungen besuchte, bei denen zu der einen oder anderen Gelegenheit auch schon mal Tränen an schmerzhafte Erinnerungen flossen.

Seit 1995 saßen die Veteranen, die sich zuvor an den Fronten des Siebengebirges und anderswo in ganz Europa als ehemalige Feind aufs bitterste bekämpf hatte, im Hause Schlesien gemeinsam an Tischen, tauchten gemeinsame Erinnerungen aus, die manchmal kaum schwerer sein konnten und reichten sich zum Zeichen der Versöhnung die Hände. Einheitliches Kredo war aber immer: “Nie wieder Krieg!”

An einem Nachmittag, während Kaffee und Kuchen, kam Gerhard Kiesewetter auf mich zu mit den Worten: “Du musst hier hinten an den Tisch, da erwarten dich bereits einige Leute sehnsüchtig!” Gerhard Kiesewetter, der selbst Veteran der 62. VGD war, hatte eine Zusammenkunft ermöglicht, bei der ich etwa 15 ehemalige Divisions-Angehörige kennen lernen durfte. Einige davon kannte ich bereits durch zahlreiche Telefonate, andere vom Hörensagen und so war beiderseits die Freude groß, sich endlich einmal persönlich zu treffen! Darunter Fritz Blum, ehemals Ia der Div., Gunthard Schieberle, Karl Heinz Gertkämper und Ferdinand Kempe. Sie berichteten mir aus ihrer Geschichte und deren Erlebnisse aus der Zeit der letzten Kriegsmonate. Bei dieser Gelegenheit wurde mir ein Soldbuch und diverse Dokumente mit der Auflage “zur Kopie, sofort zurück!” vorgelegt, heute weiß ich jedoch nicht mehr ob es durch Franz Klimetzek oder einen der anwesenden Kameraden. Ich machte mich unmittelbar auf den Weg; aber versuch einmal an einem Wochenende Fotokopien anzufertigen, heute sicher einfach möglich, damals eine fast unlösbare Aufgabe, die mir dann durch die Verwaltung des Hauses Schlesien schließlich abgenommen wurde.

Fotokopie und Überlagerung des original Fotos – rechts im Bild: Franz Klimetzek, 1939 als Gefreiter und Angehöriger des Infanterieregiment 10 nach Ende des Polenfeldzuges.

Leutnant d.R. Franz Klimetzek war seit der Neuaufstellung der 62. Volksgrenadier Division in Neuhammer / Schlesien der 13. Kompanie des Grenadierregiments 183 als Zugführer zugeteilt. Mit dieser Kompanie nahm er ab dem 16. Dezember 1944 an der Ardennenoffensive teil, der gleich als erster Nahkampftag bei Heckhuscheid gezählt wurde. Weihnachten verbrachte die Kompanie im belgischen Trois Points, bis hier lagen bereits 5 Nahkampftage hinter Klimetzek, von denen bis zum Kriegsende noch weitere 13 sollten folgen würden. Anrechenbare Nahkämpfe waren die fürchterlichste und brutalste Art der Kriegsführung, bei welcher sich die Kontrahenten im direkten Kampf Mann gegen Mann gegenüberstanden, wobei, laut Verleihungsbestimmungen “das Weiße im Auge des Feindes“ zu sehen sein musste und der eigentliche Kampf unter Einsatz von Nahkampfwaffen wie dem Bajonett oder Spaten geführt wurde.

Nach dem die Ardennenoffensive ihren Schwung verloren, sich Ende Dezember 1944 endgültig festgelaufen hatte, lagen sich die deutschen und amerikanischen Divisionen bis Anfang des Jahres in zermürbenden Kämpfen gegenüber und machten sich jeden Handbreit Boden streitig, Ab dem 3. Januar 1945 setzte die 82. US-Fallschirm-Jäger-Division verstärkt auf die Offensive und nahm konzentrierte Angriffe auf, das 551. US-Fallschirm-Infanterie-Regiment eroberte nach schweren Kämpfen Mont de Fosse, 1 km südlich Trois Ponts. Am 5. Januar war Bergeval nach stundenlangen und schwersten Kämpfen gefallen, am 8. Januar wurde Mont Halleaux erobert, wobei die drei zuletzt genannten Orte und Daten zunächst die letzten Nahkämpfe für Franz Klimetzek darstellten, der während eines Gegenangriffs des Grenadierregiment 183 durch Bauchschuss verwundet wurde; Glück im Unglück: Das Projektil verletzte weder Darm noch Organe. Über den Truppenverbandsplatz wurde Klimetzek ins Reservelazarett Siegen verlegt, wo auch eine Operation erfolgte.

Nach einem folgenden Aufenthalt im Lazarett wurde Franz Klimetzek Anfang März 1945 zurück zur Truppe in Marsch gesetzt. Die 62. VGD war knapp westlich von Bonn angelangt und Klimetzek wurde Zugführer in der 14. Kompanie des Grenadierregiment 164 unter Oberleutnant Konrad. Die 14. Kp. war die Panzerabwehr-Kompanie des Regimentes und – wie der Name vermuten lässt – für die direkte Abwehr gegnerischer Panzer zuständig, so sollte die Kp. über 72 Raketenpanzerbüchsen verfügen, davon 18 Geräte als Ersatz.

Zurück bei der Truppe ließen die nächsten Kampfhandlungen nicht lange auf sich warten. Bereits am 6. März wurde für die Verteidigung Duisdorfs durch das Grenadierregiment 164 der erste von 11 weiteren Nahkampftagen im Soldbuch dokumentiert.

Auflistung der Nahkampftage für Leutnant der Reserve Franz Klimetzek.

Die 62. VGD überquerte südlich Bonn den Rhein und wurde unmittelbar in die Gefechte um den durch die Amerikaner gebildeten Brückenkopf von Remagen eingebunden, wobei für Klimetzek am 13. März der Kampf um Rhöndorf wieder ein Nahkampftag war. Während der schweren Brückenkopfkämpfe zwischen dem 13. und 24. März wurden Dörfer und einzelne Höfe wie Margretenhof und das am Hanfbach liegende Theishohn zum Schauplatz weiterer Kämpfe, wobei Theishohn am 24. März 1945 als 16. Nahkampf verzeichnet wurde. Die beiden letzten Nahkämpfe fanden in Stein bei Kircheib und Rodder am Ufer der Sieg statt.

Verleihungsbegründung für den Silver Star durch die 1. US.-Infanterie-Division für Lawrence J. Mette, Angehöriger der C-Kompanie des 16. US.-Infanterieregiments mit den genauen Details zu den schweren Gefechten um Theishohn, das am 24. März 1945 während eines Bajonett-Angriffs erobert werden musste und zum deutschen Gegenangriff bei Striefen am 25. März 1945.

Um 16.15 Uhr des 25. März 1945 konnte Leutnant Klimetzek bei Theishohn einen Sherman-Panzer durch 2 Schüsse aus der Panzerbüchse 54, dem im Landser-Jargon genannten “Ofenrohr”, bewegungsunfähig schießen. In der dazugehörigen Bescheinigung heißt es: “Kettentreffer rechts vorn, bewegungslos aufgegeben.”  Ob die Bescheinigung zur Verleihung des “Sonderabzeichen für das Niederkämpfen von Panzerkampfwagen durch Einzelkämpfer” ausgereicht hat, ist heute leider nicht bekannt.

Rechts vorne die Standarte des Kameradschaftsverbandes der ehemaligen 62. Infanterie- und Volksgrenadier Division, an der Fahne Josef Bannert. Links davon präsentiert die Bundeswehr in Vertretung des Hauptfeldwebels Hermann Roslau(?) die Standarte der französischen 30. Alpinen Infanteriedivision, daneben die Standarte des Kameradschaftsverbandes des 141. französischen Infanterieregiments mit Marcel Barelli, welches als Teil der 30. fr. Division der 62. ID während des Frankreichfeldzuges 1940 in schweren Kämpfen gegenüberstand. Gegenüber stehen links ein polnischer sowie ein deutscher Veteran mit den Europafahnen, rechts außen die Standarte der ehem. 8. Jägerdivision mit Heinz Nitschke? Das Foto müsste 1996 in Bingen entstanden sein.

Alte Freunde vor dem Zugang zur Burg Klopp in Bingen – von Links : Bernhard Gertkemper, Heinz Nitschke und Hannibal Graf von Lüttichau – dem das Grinsen und der Mut nie verging. Einfach ein wunderbare Mensch, auch in schwierigster Lage immer freundlich und stets aufmunternde Worte auf den Lippen. Ich vermute es existiert kein Foto, auf dem er nicht sein verschmitztes Lächeln zeigt.

Ralf Anton Schäfer