Gefallen in Hahnhof – Eine Spurensuche

70 Jahre liegt das Ende des Zweiten Weltkrieges nun zurück und doch sind seine Narben lange nicht verheilt. Immer noch gibt es auf Seiten der Angehörigen viele quälende Fragen, zu denen es oft keine oder kaum Antworten gibt. Eines dieser Schicksale betrifft auch Rolf-Dieter Huckfeldt aus Arpsdorf im Kreis Rendsburg-Eckernförde, dessen Onkel Johann Huckfeldt im April 1945 als Unteroffizier in Hahnhof gefallen ist.

Rolf-Dieter Huckfeldt befasste sich während der vergangenen Jahre bereits mehrfach mit dem Schicksal seines Onkels, den er zuletzt im Alter von vier Jahren gesehen hatte. „Im Herbst 1944 war mein Onkel letztmalig auf Heimaturlaub, er war bei uns zu Hause in der Landwirtschaft damit beschäftigt, die Felder zu bestellen!“, erinnert sich der 75-jährige Rentner.

Gedenkstein von Johann Huckfeldt (wird eigentlich mit “dt” geschrieben) auf der Kriegsgräberstätte in Wissen. Foto (c) Gerd Braas.

Im Internet stieß Rolf-Dieter Huckfeldt schnell auf erste Informationen zu den Kriegsereignissen in der Niederfischbacher Gegend, darunter auch auf die Seite www.niederfischbach.de. Nach einer ersten Kontaktaufnahme zu Gerd Braas brachte Rolf-Dieter Huckfeldt einen Stein ins Rollen, der endlich, nach mehr als 70 Jahren etwas Licht ins Dunkel bringen sollte. Gerd Braas, dem ich bereits vor längerer Zeit schon einmal behilflich war mit Angaben zu den Todesumständen des auf dem Giebelwald gefallenen Leutnant Klaus Morré, fackelte nicht lange und suchte Kontakt zu mir. Schnell kam ich zu dem Ergebnis: Hier kann man weiter helfen, vielleicht nicht alle Fragen beantworten, aber doch sicher das Schicksal des gefallenen Onkels etwas näher beleuchten. Nach einigen Telefonaten und Emails wurden dann „Nägel mit Köpfen gemacht“ und Rolf-Dieter Huckfeldt reiste am 12. Juni 2015 gemeinsam mit der Tochter an.

Gerd Braas stellte Freitags den beiden Huckfeldts die Gemeinde vor. Den nächsten Morgen erwartete Rolf-Dieter Huckfeldt bereits mit großer Spannung. In Hahnhof kam es am Samstagmorgen dann zur lang ersehnten Zusammenkunft. Empfangen wurde Familie Huckfeldt in der Nähe von Hahnhof durch den Ortsbürgermeister Matthias Otterbach, welcher die beiden freundlich begrüßte und Willkommensgeschenke überreichte. Danach stellte sich Herbert Dietershagen aus Niederfischbach als exzellenter Kenner und Wanderführer des Giebelwaldes vor. Gerd Braas, der durch seine kleine Tochter begleitet wurde, hatte einen Geländewagen organisiert, mit dem die Gruppe im Tagesverlauf noch das Schlachtfeld auf dem Giebelwald erkunden würde. Nachdem sich alle bekannt machen konnten, stellte ich mich ebenfalls Herrn Huckfeldt vor und versprach ihm, dass er im Laufe des Tages Antworten zu einigen Fragen erhalten würde. „Sicherlich, das ist klar, werden nicht alle Fragen zu beantworten sein, aber auf jeden Fall werden Sie einiges aus der Geschichte der letzten Lebenstage ihres Onkels erfahren! Ich zeige Ihnen auch den genauen Ort, an dem sich die Grablage befand, bevor die Gefallenen in den 1950er Jahren nach Wissen auf die Kriegsgräberstätte umgebettet wurden.“

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Zwischen Wüstseifen und Hahnhof: v.L.: Sandra Huckfeldt, Ralf Anton Schäfer, Herbert Dietershagen, Rolf-Dieter Huckfeldt, Gerd Braas, Ortsbürgermeister Matthias Otterbach. Vorne links, darf natürlich in der Aufzählung nicht fehlen, Hund Shiro, der uns auf der Spurensuche begleitet hat.

 Rolf-Dieter Huckfeldt zeigte sich sichtlich gerührt von der Gastfreundschaft und dem Bemühen aller Anwesenden, die Umstände des Todes seines Onkels nach so langer Zeit, so weit wie es noch möglich ist, aufzuklären und er  erklärte:

 „Es war mir ein innerer Drang, hier nach Niederfischbach zu kommen, um mir den Ort anzuschauen, wo das Leben meines Onkels ein viel zu frühes Ende fand“, so Huckfeldt. Und weiter: „Dieser Herzenswunsch wurde in den letzten Jahren immer stärker. Das Ehrengrab meines Onkels in Wissen habe ich zwar als junger Mann, damals mit meiner Mutter, besucht, aber viel wichtiger ist es mir, hier heute an diesem Ort und dieser wirklich wunderschönen Landschaft zu sein – wenn auch mein Onkel sicher für diese schönen Ausblicke in seiner aussichtslosen Lage kein Auge gehabt haben wird“.

 In der Tat hatte der Onkel 1945 sicherlich kein Auge für die Schönheit des Asdorftals, denn es war die Zeit, als sich der Zweite Weltkrieg seinem Ende zuneigte, es war die Zeit, als der Giebelwald zum Frontgebiet wurde, es war die Zeit, als das Hundertfache Sterben im Kanonendonner und Kugelhagel begann.

Ich klärte kurz gefasst über die Zusammenhänge von März und April 1945 auf, darüber, wie die 1. US Armee am 7. März bei Remagen den Rhein überschritt und einen Brückenkopf bilden konnte, aus dem die Amerikaner am 25. März 1945 ausbrachen. Durch den nach Osten gerichteten Vorstoß der amerikanischen Verbände wurden große Teile der 15. Armee zerschlagen, Kräfte die sich dem Angriff der Amerikaner entziehen konnten, wurden vor den Stoßkeilen hergetrieben oder konnten sich hinter die Sieg zurückziehen. Am 29. März 1945 erhielt die Sieg im Oberkommando der Wehrmacht den Namen „Siegfront“. Diese Frontlinie sollte unter allen Umständen mit allen verfügbaren Kräften gehalten werden. So kam es, dass das Siegerland zum Frontgebiet wurde. Bunt zusammengezogene Haufen wurden an die Front geworfen und in letzter Stunde in einem sinnlosen Opfergang verheizt.

Von Herkersdorf-Offhausen kommend, marschierten die Amerikaner während der Nacht zum 1. April 1945 in Kirchen ein, dass gegen geringen Widerstand erobert werden konnte. Im Anschluss bereiteten sich die Amerikaner darauf vor, die Sieg bei Brühlhof zu überschreiten, um von dort aus über Freusburg auf den Giebelwald zu stoßen, von dem Bekannt war, dass sich dort größere Wehrmachtsverbände aufhielten. In Mitten des Strudels dieser Kämpfe war auch der Unteroffizier Johann Huckfeldt gefangen. Für ihn und viele seiner Kameraden gab es keinen Ausweg mehr. Zwischen dem 1. und 6. April 1945 wurde die waldreiche Gegend zum Schauplatz von verlustreichen Kämpfen. Nachdem am 3. April Freusburg gefallen war und die amerikanischen Angriffe den heftig umkämpften Vogelsang endlich erobern konnten, nahm die Heftigkeit besonders um die waldreichen Höhen nördlich der Sieg zu.

Die amerikanischen Angriffe führten aus drei Richtungen auf den Giebelwald zu: Von Freusburg, von Mudersbach und von Niederschelden her. Ab dem 6. April 1945 auch noch aus Richtung Wehbach, das am Morgen in amerikanische Hand gefallen war.

Entlang dieser Linie sollte Hahnhof am 7. April 1945 verteidigt werden.

Ein deutsches Maschinengewehr eröffnet das Feuer auf die vorstoßenden Amerikaner, wird aber noch bevor es bei den Amerikanern zu Verlusten kommt, ausgeschaltet.

Hier befand sich die Grabstelle für die 13 deutschen Soldaten, die während des Kampfes um Hahnhof ihr Leben ließen. In den 1950er Jahren wurde das Soldatengrab nach Wissen umgebettet, wo sich heute auch Johann Huckfeldts letzte Ruhestätte befindet.

Deutsche Soldaten, die zuvor im Bereich Wüstseifen gesammelt wurden, sollten den amerikanischen Vormarsch aufhalten.  Angehörige einer Flak-Einheit, die von Wehbach kommend in Richtung Niederfischbach zurückging, wurden durch einen deutschen Offizier aufgefangen und gemeinsam mit dem bei Wüstseifen zusammengezogenen Haufen in die Verteidigung Hahnhofs einbezogen. Es ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der 27-jährige Unteroffizier Johann Huckfeldt dieser Truppe angehörte. Im Laufe des Tages gingen die Amerikaner mit Panzerunterstützung von Altenthal aus gegen Hahnhof vor.

Rolf-Dieter Huckfeldt war bekannt, dass sein Onkel den Erzählungen nach an einem Waldrand mit Wiesen bewachsenem Berghang gefallen sein muss.„Mein Onkel wollte einem verletzten und um Hilfe rufenden Kameraden zu Hilfe eilen und wurde hierbei selbst tödlich verwundet! Ein Kamerad, der ebenfalls in Arpsdorf gelebt hat und mit meinem Onkel zusammen war, hatte meiner Mutter über den Tod von Johann berichtet.“

Das passt auch zu den Ereignissen der Apriltage von 1945. Die zurückgehende Wehrmacht hatte eine hastig errichtete Verteidigung organisiert. Am Ortsrand war ein MG in Stellung gebracht worden, ein Granatwerfer unterstützte aus dem Bereich des heutigen Geländes der Tennissportanlagen. Wenige Soldaten befanden sich in Hahnhof, am Waldrand zum Wäschebachskopf hin sollte sich die Hauptkampflinie befinden, jedoch fehlten die Soldaten zur organisierten Verteidigung. Als die Amerikaner darauf in den Ort eindrangen kam es zu einem kurzen Feuerkampf. Zu diesem Gefecht ist in Hahnhof bekannt „…dass die Amerikaner mit einem Panzer, der am Gleisende in der Nähe von Wüstseifen stand, in den Ort reinfeuerten!“ Wüstseifen war gerade kampflos eingenommen worden und mehrere deutsche Soldaten, die sich zusammen mit Einwohnern im Bergwerkstollen vor den Kugel in Sicherheit gebracht hatten, waren in Gefangenschaft geraten.

In einer breitgefächerten Formation sickerte die amerikanische Infanterie in den Ort Hahnhof, wurden aber sofort von den deutschen Soldaten mit schwerem Feuer belegt. Hiernach folgte der „Sherman-Panzer und nahm den Hang und die Böschung um das Haus unter Feuer“, erinnerte sich Werner Stähler in Hahnhof, der auf Herbert Dietershagens Anfrage sofort bereit war, mit seinem Erinnerungen als Zeitzeuge der Familie Huckfeldt weiterzuhelfen.

Nachdem der Panzer in Hahnhof eingefahren war und die Infanterie Hahnhof besetzte, flammte hier und da nur noch vereinzeltes Feuer auf, das jedoch wenig später eingestellt wurde. Letzte Soldaten starben nur wenige hundert Meter entfernt von Werner Stählers Elternhaus. Es ist bekannt, dass in diesem Bereich mehrere Angehörige einer Flak-Einheit eingesetzt waren. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich darunter auch der Unteroffizier Johann Huckfeldt befunden hat, dürfte sehr hoch sein.

 In und um Hahnhof befanden sich bis zum 10. April eine ganze Reihe Feldgräber, man hatte die Gefallenen erst einmal notdürftig an Ort und Stelle begraben. Am 10. April wurden 13 gefallene Soldaten zentral in Hahnhof bestattet. Dieses Grab wurde am 15. April durch Pfarrer Engel unter großer Teilnahme der Bevölkerung eingesegnet. Anfang bis Mitte der 1950er Jahre erfolgten überall im Gebiet des Kreises Altenkirchen groß angelegte Umbettungsarbeiten, um die vielen einzelnen, verstreuten Feld- und Soldatengräber zentral an einem Ort zusammenzufassen. Bei diesen Umbettungen wurden auch die Gräber der in Hahnhof gefallenen Soldaten nach Wissen umgebettet, wo sich nun insgesamt 317 Gräber finden. Wissen ist damit die größte Kriegsgräberstätte im Kreis Altenkirchen.

Besuch des Ehrenfriedhofs in Wissen/Sieg. Foto (c) Gerd Bäumer

Rolf-Dieter Huckfeldt und seine Tochter Sandra besuchen die Grabstätte des Onkels auf dem Ehrenfriedhof in Wissen/Sieg. Foto (c) Gerd Bäumer

In der Gefallenendatenbank beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge wird als Todesdatum des Johann Huckfeldt der 3. April 1945 angegeben. Rolf-Dieter Huckfeldt war bislang der 4. April 1945 als Schicksalsdatum bekannt, genauer gehen jedoch die Unterlagen des katholischen Pfarramtes, wonach die Gefallenen des 5. und 6. Aprils 1945 am 10. April 1945 durch den Pfarrer Konrad Engel beerdigt worden sind. Hahnhof wurde jedoch am 7. April 1945 durch die Amerikaner eingenommen, so lässt sich nun mit ziemlicher Sicherheit das Todesdatum auf den 7. April festlegen.

Am 7. April 1945 ging für Hahnhof, den Giebelwald und Niederfischbach der Zweite Weltkrieg zu Ende,  nach gut einer Woche Kämpfe um die Sieg und das tiefreichende Waldgebiet blieben mehr als 150 Gefallene zurück. Mindestens 150 Schicksale, Söhne, Väter, Brüder – und Onkels!

Nachdem wir uns bei Familie Stähler verabschiedet hatten, musste ich mich ebenfalls von der Gruppe trennen. Gerne hätte ich die Gruppe um Gerd Braas und Familie Huckfeldt noch mit auf den Giebelwald begleitet, jedoch musste ich am Nachmittag noch eine Exkursion auf den Spuren des Kriegsendes 1945 durch den Kausener Wald in der Nähe von Steineroth führen. Ich verabschiedete mich von Rolf-Dieter Huckfeldt und dessen Tochter Sandra und wünschte ihnen eine gute Heimreise. Rolf-Dieter Huckfeldt und seine Tochter bedankten sich außerordentlich bei mir, für sie war damit der Ausflug in die Geschichte jedoch noch nicht zu Ende. Unter der Führung von Herbert Dietershagen fuhr die Gruppe um Gerd Braas anschließend noch die verschiedenen Kampffelder auf dem Giebelwald an, so besuchten sie zum Beispiel den Vogelsang nördlich Freusburg, um den die Amerikaner bitter fochten, die Wasenecke, wo der junge Leutnant Klaus Morré am 4. April 1945 nach schwerer Verwundung verblutete und den Hellbachskopf, um den sich bittere Kämpfe abspielten. Am Ort eines ehemaligen Soldatengrabes erinnern heute Basaltsäulen an die Gefallenen des Giebelwaldes und die schicksalhaften Tage von April 1945.

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Mahnstätte auf dem Hellbachskopf in der Nähe von Niederfischbach. Hier befand sich eines von mehreren Feldgräbern in der Gemarkung des Giebelwaldes.

Ralf Anton Schäfer