Exkursion 4 – Kampf um den Brückenkopf Betzdorf

Mit einiger Verspätung werde  ich während dieser und in den nächsten Wochen nun endlich auch die noch fehlenden Berichte zu den gelaufenen Exkursionen in der Region einsetzen.

Unsere vierte Exkursion fand am 18, April in Betzdorf statt und führte vom Treffpunkt, Parkplatz am Flippolino, auf den Molzberg. Die Molzbergspitze ragt mit rund 340 Metern über NHN (Normalhöhennull) über Betzdorf und die Sieg, sperrt das Hinterland und sollte aufgrund dieser strategischen Lage zum Frontgebiet im März und April 1945 werden.

Am Sammelplatz in der Nähe des Molzberg-Schwimmbades wurde bereits um 14.30 Uhr klar: “Das Interesse ist groß!” Schon eine halbe Stunde vor ausgemachter Uhrzeit waren erste Interessenten von mehr als 20 Teilnehmern erschienen. Zwei der Teilnehmer hatten zudem eine einfache Fahrstrecke von knapp über 50 Kilometern auf sich genommen. Von besonders großer Freude war die erneute Anwesenheit von zwei Zeitzeugen, die, obwohl damals noch im Kindesalter, sich noch gut an die Ereignisse von März und April 1945 erinnern konnten.

Nach kurzem Empfang und Begrüßung konnte es gegen 15.15 Uhr dann endlich auf den Spuren der Geschichte losgehen. Betzdorf wurde durch die 59. Infanteriedivision verteidigt. Bei Betzdorf war das Grenadierregiment 1034 im Einsatz. Das Regiment war gerade erst zum Monatsende aus der Rheinfront nach Betzdorf verlegt worden und hatte mit Teilen des I. Bataillons einen Brückenkopf südlich der Sieg gebildet, die restlichen Truppen richteten sich nördlich der Sieg, so auch in und um Betzdorf, zur Verteidigung ein. Reserven wurden, so gut es ging, aus den Kampftruppen herausgelöst. Eine dieser Reservekompanie, es war eine etwa 30 Mann zählend Alarmkompanie, die sich aus Volkssturmangehörigen rekrutierte, lag ziemlich exakt im Bereich unseres Treff- und Startpunktes und wurde von dort aus in die Gefechte in der Nähe der “Hetzbach” verwickelt, gegen die amerikanische Soldaten aus dem Bereich der Gontermannstraße vorgingen.

Landkarte, basierend auf das Jahr 1943. Topographische Karte aus den Beständen der 1. US Army. Eintragungen wurden anhand Angaben im Kriegstagebuch des 28. US Infanterieregiments vorgenommen.

Landkarte, basierend auf das Jahr 1943. Topographische Karte aus den Beständen der 1. US Army. Eintragungen wurden anhand Angaben im Kriegstagebuch des 28. US Infanterieregiments vorgenommen.

Wie aber kam es überhaupt zur Bildung des Betzdorfer Brückenkopfes? Nachdem die Amerikaner südlich der Sieg weit nach Osten vorgestoßen waren, hatten sie damit begonnen, restliche deutsche Truppen, die noch südlich des Flusslaufes standen, zu bekämpfen. Ab dem Monatsende war die 8. US Infanteriedivision südlich der Sieg in Stellung gegangen. Das 28. amerikanische Infanterieregiment begann während der Abendstunden vom 31. März zum 1. April 1945 mit ersten Angriffen über die Sieg, um Brückenköpfe zu bilden. So versuchten sie bei Wallmenroth den Fluss zu überqueren, wo sie jedoch auf deutschen Widerstand stießen. Unter heftigem MG-Feuer mussten sich die amerikanischen Soldaten wieder bis in die Ausgangsstellung zurückziehen. Nur unter großer Mühe war es ihnen möglich die Verwundeten mitzunehmen. Nachdem die Gruppe am Bahndamm angelangt war, waren zwei ihrer Kameraden durch das deutsche MG-Feuer getötet worden. Mit diesem Rückzug war die einzige Chance vertan, von Wallmenroth aus nach Betzdorf anzugreifen und die deutsche Verteidigungslinie von rückwärts her aufzurollen.

Um 4.31 Uhr meldete Major Russel Manzolillo dem Bataillon, dass man wegen des Widerstands weiter Östlich einen Übergang versuchen müsse. „Weiter Östlich“ war in diesem Sinne Betzdorf und Bruche und die Umgebung des „Rainchens“, wo bereits zwei Kompanien in Stellung waren und seit vier Uhr Patrouillen in Richtung Sieg entsendeten. Einer dieser Patrouillen meldete um 4.45 Uhr, dass sie eine intakte Fußgängerbrücke entdeckt hatte. Kurz nach 5 Uhr erhielten sämtliche Patrouillen den Befehl, ohne Verzögerung die Sieg zu überqueren und zu sichern. Die erste Patrouille überquerte innerhalb der nächsten Minuten die Sieg und tastete sich bis an den Bereich der Patt- und Dilthey-Werke heran, wo ein schlafender Wachposten überrascht werden konnte. Nach einem kurzem Feuergefecht waren zwei deutsche Soldaten getötet und ein dritter in Gefangenschaft geraten. Innerhalb der nächsten Zeit setzten drei verstärkte Züge über die Sieg und sicherten gegen nur geringen Widerstand den Bereich bis zum Verlauf der Wilhelmstraße. Bis zu diesem Zeitpunkt leistete lediglich ein deutsches MG, das im Bereich der Gregor-Wolf-Straße in Stellung war, ernstzunehmenden Widerstand und forderte die ersten Verluste in den amerikanischen Reihen.

Mit Einbruch des Tageslichts änderte sich die Lage gravierend: Deutsche Verstärkungen waren aus der Nähe von Kirchen-Wehbach und von Dasberg herangekommen und sickerten in Betzdorf ein, Wehrmachtssoldaten, die noch immer bei Struthhof in Stellung waren, nahmen jede Bewegung im Bereich der Gontermannstraße und der “Hetzbach” unter Feuer. Schweres Artilleriefeuer ging auf dem Bereitstellungsraum (Güterbahnhof) der Amerikaner nieder. Überall in Betzdorf entwickelten sich heftige Kämpfe, die den ganzen Tag überdauerten. Im höher gelegenen Ortsbereich (alte Obstplantage) konnten die Amerikaner eine schwere PaK (Panzerabwehrkanonen) ausschalten. Während der Abendstunden setzte ein aggressiv vorgetragener, deutscher Gegenangriff ein, der mit Teilen bis kurz vor den amerikanischen Bataillonsgefechtsstand vordringen konnte. Erst danach ließ der deutsche Widerstand nach, trotzdem kehrte jedoch keine Ruhe ein, denn überall in Betzdorf flackerte immer wieder Feuer auf.

Wehrmachtsangehörige, die sich von der Pracht aus vor den aus Alsdorf vorstoßenden Amerikanern zurückzogen, durchwateten die Sieg im Bereich der “Hetzbach”, schlossen sich der eigenen Truppe an und nahmen an den weiteren Kämpfen  um Betzdorf teil. Zwischen dem 31. März (Angriffsbeginn) und dem 2. April (erreichen der Molzbergspitze) waren auf amerikanischer Seite mindestens 7 Soldaten gefallen, 31 wurden verwundet und 65 Mann in deutsche Gefangenschaft geraten.

<p align="justify">Auszug aus einem amerikanischen Gefechtsbericht mit detaillierten Angaben zum Kampf um Betzdorf. Mit "Hill 313" wurde der Molzberg bezeichnet; die "313" gibt hierbei keine Höhenangabe oder ähnliches wieder, sondern handelt es sich dabei um eine in der 8. US Infanteriedivision intern verwendete Nummerierung der vorgegebenen Ziele. Den Angaben zufolge konnten die Kommandeure die Gefechte im nordöstlichen Bereich von Betzdorf beobachten und sahen, als deutsche Soldaten erneut in Häuser eindrangen, die man zuvor bereinigt schon vom Feind hatte.</p><p align="justify">Die im Bereich Gregor-Wold liegende Kilo-Kompanie verwickelte sich in heftige Gefechte, nachdem Teile der Kompanie damit begonnen hatten, ihren Angriff in Richtung Molzbergspitze auszuweiten. Nördlich von der Kompanie wurde das Gelände durch deutsches MG-Feuer gesperrt. Die Kompanie wurde letztendlich festgenagelt und rannte sich in diesem Angriff fest.</p>

Auszug aus einem amerikanischen Gefechtsbericht mit detaillierten Angaben zum Kampf um Betzdorf. Mit “Hill 313” wurde der Molzberg bezeichnet; die “313” gibt hierbei keine Höhenangabe oder ähnliches wieder, sondern handelt es sich dabei um eine in der 8. US Infanteriedivision intern verwendete Nummerierung der vorgegebenen Ziele. Den Angaben zufolge konnten die Kommandeure die Gefechte im nordöstlichen Bereich von Betzdorf beobachten und sahen, als deutsche Soldaten erneut in Häuser eindrangen, die man zuvor bereinigt schon vom Feind hatte.

Die im Bereich Gregor-Wold liegende Kilo-Kompanie verwickelte sich in heftige Gefechte, nachdem Teile der Kompanie damit begonnen hatten, ihren Angriff in Richtung Molzbergspitze auszuweiten. Nördlich von der Kompanie wurde das Gelände durch deutsches MG-Feuer gesperrt. Die Kompanie wurde letztendlich festgenagelt und rannte sich in diesem Angriff fest.

 

 

Wir haben uns während unserer ca. 3,5 Kilometer führenden Exkursion die Orte des damaligen Kampffeldes angeschaut und über Ereignisse unterhalten, wodurch sich klar erkennen ließ, warum und wie sich die Kämpfe in Betzdorf abspielten und wie sich der eigentliche amerikanische Vorstoß auf die Molzbergspitze zugetragen hat. Auch konnten verschiedene Unklarheiten beseitigt und  viele Fragen beantwortet werden.

Von größerer Bedeutung war es auch näher auf Schicksale verschiedener Soldaten einzugehen, die noch kurz vor Kriegsende auf dem Molzberg gestorben sind. So musste auch die Rolle des damaligen Chefs vom Tankholz-Kommandos 48 näher erläutert werden. Hauptmann Karl Busse war als Kommandeur eines Tankholz-Kommandos bereits seit Mitte März 1945 in Wehbach einquartiert. Tankholz-Kommandos waren vom Grundprinzip her und vereinfacht dargestellt “Sägewerke”, die Brennholz beschafften, womit Holz als Treibstoff für auf Holzvergaser umgerüsteten Fahrzeuge verwendet werden konnte. In Wehbach hielt sich viele Jahre ein Gerücht, welches nach beinahe 70 Jahren nun endlich aus der Welt geschafft werden muss: Demnach sei Hauptmann Busse als ein “Kriegsverlängerer” aufgetreten und habe noch in letzter Minute den “Endsieg” herbeigesehnt. Busse wurde als jüngerer Offizier beschrieben, der “kurz vor Ende noch sein Ritterkreuz verdienen wollte”. Als die Amerikaner dann in Betzdorf über die Sieg gegangen waren, hätte er ausrufen lassen “Wehbach wird bis zum letzten Mann und zur letzten Patrone verteidigt!”, anschließend hätte der Hauptmann eine Kompanie, die in “Rußloch” stationiert war (dort war die Tankholz-Abteilung untergebracht), in das Gefecht befohlen. Auf Anfrage, woher diese Angaben stammen, wurde geantwortet: “Das hätte man sich in Wehbach über die Jahre so erzählt.” Mit Fakten belegt war also nichts, dafür aber eine Behauptung aufgestellt worden, die sich über 7 Jahrzehnte halten konnte.

Um nun jedoch einige Fakten in den Raum zu stellen: Hauptmann Busse war kein jüngerer Offizier, er hätte im Sommer 1945 seinen 50ten Geburtstag begangen. An Orden und Ehrenzeichen dürfte es ihm wohl kaum mehr gelegen haben, Busse war 1943 als Soldat der Reserve zum aktiven Dienst eingezogen worden, von Beruf war er Prokurist in einer Bank in Berlin, der “seinen Beruf liebte”. Aus Feldpostbriefen von der Front an die Familie bzw. den Sohn, der zur gleichen Zeit an der Ostfront im Einsatz war, war zu erfahren, “das er sich nichts sehnlicher wünsche, als dass der Schlamassel endlich zu Ende wäre um dann wieder Heimzukehren”. In zwei Operationen wurden ihm in den Jahren 1939 und 1942 Wucherungen am Rücken entfernt, wobei eine bis an die Wirbelsäule gewirkt hatte. Nach dieser letzten Operation soll Karl Busse kaum noch dazu in der Lage gewesen sein zu marschieren, schwere Lasten zu tragen geschweige denn über einen längeren Zeitraum zu stehen. Eine infanteristische Ausbildung hatte Hauptmann Busse ebenfalls nicht erhalten, bereits im Ersten Weltkrieg diente er von 1916 bis 1917 in einer Nachschubkompanie, eine Granatsplitterverletzung beendete seinen Kriegseinsatz bis zum Jahre 1943. Nach dem er als Reservist 1943 wieder eingezogen worden war, war er erneut als Prokurist für die Verwaltung einer Nachschub-Einheit in Frankreich eingesetzt worden.

Von einem aus der Gefangenschaft heimgekehrten Kameraden erfuhr Familie Busse im Sommer 1945 die näheren Todesumstände. Diesen Informationen zufolge erhielt Hauptmann Busse am 1. April 1945 in Wehbach den Befehl, mit seinen Soldaten und einigen Volkssturmangehörigen von “Rußloch” aus gegen den Amerikaner loszumarschieren und Betzdorf im Angriff zu entlasten. Hauptmann Busse soll hierauf noch geantwortet haben, dass der Befehl absoluter Wahnsinn sei, zumal seine “Kompanie” weder über Waffen verfügte noch irgendjemand dabei war, der Ahnung gehabt vom infanteristischem Kampf habe. Beantwortet sei wohl nur die Waffenfrage, wonach es geheißen habe “In Betzdorf wird bereits gekämpft, dort, wo gekämpft wird, wird auch gestorben, also könne sich die Kompanie auch bei den Gefallenen bewaffnen!” Befehl war Befehl, so marschierte dann das Tankholz-Kommando auf den Molzberg, im Bereich des heutigen Sendeturms gab Busse noch letzte Befehle aus. Nur wenige Augenblicke später starb Hauptmann Busse im amerikanischen Feuer dicht bei dem Wasserbehälter im Bereich oberhalb des heutigen “Tilsiter Weges”. Gemeinsam mit ihm starb sein Melder, der 18jährige Gefreite Werner Arndt, der wenige Meter weiter tot aufgefunden wurde. Arndt hatte eine Blutspur hinter sich hergezogen und wohl noch vergeblich versucht, sich selbst zu verbinden.

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Oberhalb dem Molzberg-Freizeitbad erfährt die Gruppe von den Ereignissen, die sich im April 1945 zwischen hier, der eigentlichen Molzbergspitze und Betzdorf zugetragen haben.

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Eine der Verteidigungsstellungen auf dem Molzberg. Zu erst waren hier deutsche Soldaten, nach dem 1. April 1945 hatte die Kilo-Kompanie dann den Molzberg und damit die Höhenstellung erobert. Links von der Schützenmulde: Mein Hund Shiro, der neutrale Beobachter. 🙂

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Auch für spezielle Fragen der Teilnehmer ist immer genügend Zeit vorhanden. Beinahe für jede Frage hatte ich die passende Antwort parat.

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Abschlussbesprechung – nach rund 3,5 Stunden sind wir zurück am Ausgangspunkt dieser Exkursion. Einhellige Aussage der Teilnehmer: “Höchst Interessant nach 70 Jahren zu erfahren, was sich bei uns vor der Haustüre ereignet hat!”

 

Ralf Anton Schäfer

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